Artist Residency in Kyoto​

Ein Abenteuer ausserhalb der Komfortzone

Straßenszene in Jodoji, Kyoto
Zimmeransicht, Bridge Studio, Kyoto
Selbstportrait, Heian-Antikmarkt, Kyoto
Bridge Studio, Interior, Kyoto

Im Februar 2025 war ich Artist in Residence im Bridge Studio Kyoto. Das Studio ist in einer über 100 Jahre alten ehemaligen Kinderklinik untergebracht – im Jodoji-Viertel, unweit des Ginkaku-Ji-Tempels, eingebettet in ein ruhiges, naturnahes Viertel am Rand der Stadt.

Die Stille, das Licht und die Struktur dieses Ortes haben meine Arbeit tief beeinflusst.

Das Haus ist magisch. aber auch aus der Zeit gefallen. Es gibt keine richtige Isolierung, und eine Zentralheizung hat es auch nicht. Aber wenn man bereit ist, sich auf das Abenteuer einzulassen, lernt man auch sehr viel dazu, denn das ist kein museales Wohnen, es gibt noch viele solcher Häuser, so leben dort viele Menschen. 

Die Sommer in Kyoto sind sehr heiss. Speziell die alten Häuser sind so gebaut, dass sie damit gut fertig werden. Aber es wird auch wirklich kalt im Winter. Und das heisst: man macht es sich warm mit dicker Kleidung und den in Japan typischen Kerosin-Heizern. Man beginnt den Tag mit einem heissen Getränk und endet ihn im lokalen Sento, dem Badehaus, in das die ganze Nachbarschaft auch geht. Und indem man an diesem Leben teilnimmt, erfährt man so viel mehr, als wenn man in ein normales Hotel eincheckt und die Touristenpfade abläuft. (Allerdings kann auch das Spaß machen und ich gebe zu, dass ich mich nach meinem Monat in Kyoto über die Heizung zuhause gefreut habe).

Hofgartenansicht Bridge Studio, Kyoto
Der Blick in den Hofgarten

DEN ZUGANG FINDEN

Der Hofgarten des Hauses zieht mich magisch an. Ich kaufe Handschuhe, ich kaufe eine Schere. Ohne in den Garten einzugreifen, lege ich nur einige Bereiche frei, mache sie sichtbarer. Diese Arbeit verbindet mich mit meinem neuen Zuhause, aber ich finde auch einen klareren Zugang zu meiner Arbeit.

Die Atmosphäre verändert sich täglich – je nachdem, wie warm oder kalt es draußen und drinnen gerade ist.

An manchen Morgen ist das Licht klar und scharf, an anderen ist es weicher, vom Nebel oder der zurückgebliebenen Kälte gedämpft. Diese feinen Nuancen fließen in meine Arbeit ein und beeinflussen, wie ich Formen und Schatten auf Papier und Leinwand übertrage.

Ich werde sensibler für die haptischen Aspekte meiner Praxis. Die Rauheit der Leinwand bekommt eine größere Rolle, und ich treffe bewusstere Farbentscheidungen.

MATERIALITÄT

Ich arbeite gerne mit rauer, ungrundierter Leinwand und benutze breite Pinsel, um kräftige Spuren zu hinterlassen. Das grobe Material hat seinen eigenen Willen und fordert entschiedene Gesten.

Bei meiner Arbeit im Bridge Studio bin ich noch einen Schritt weiter gegangen: Ich habe bewusst meine Hände als Pinsel verwendet, um meine Verbindung zum haptischen Erlebnis des Malens zu vertiefen. Während meine Finger die Farbe über die raue Leinwand schieben, fühlt es sich an, als würde ich den Ort berühren, den ich erschaffe.

Die Leinwände sind noch nicht gespannt, sondern loser Stoff. Das ist praktisch auf Reisen, es entsteht aber auch ein anderes Gefühl beim Arbeiten, dass ich sehr genieße.

Wenn ich die Bilder heute anschaue und mit den Fingern über die Leinwand fahre, bin ich gedanklich gleich wieder dort – im Winterlicht von Kyoto.

abstrake Landschaft auf grober Leinwand
"Feels like a landscape", Acrylfarbe auf roher Leinwand, ca. 30x40cm
Kunst-Installation, Bridge Studio, Kyoto
Für die Ausstellung habe ich die Straßengräser genutzt um eine Rauminstallation zu arrangieren.

URBANE WILDNIS

Entlang der Straßen warten unbebaute Flächen auf eine neue Nutzung. Da sie nicht asphaltiert oder zu Parkplätzen umfunktioniert wurden, hat sich die Natur ihr Terrain zurückerobert. Ich bewundere diese kleinen Inseln der Wildnis, die langsam urbanen Raum zurückgewinnen.

Es ist Spätwinter. Die Gräser sind verblasst, doch am Boden wächst bereits das erste Grün des neuen Jahres. Diese Orte wirken still, selbst in ihrer Wildheit. In der Art, wie sich die Natur das Zurückgenommene wieder aneignet, liegt eine stille Widerstandskraft.

Meine Arbeit tritt in Dialog mit diesen Zwischenräumen. Die Texturen, die geschichteten Oberflächen, das Wechselspiel zwischen Verfall und Erneuerung – all das fließt in meine Bilder ein. Genauso wie sich diese Landschaften verändern, entwickelt sich auch mein Prozess, indem er sowohl die Spuren der Zeit als auch die Energie neuen Wachstums aufnimmt.

Partner in Crime

Mit mir zusammen hat August Henry einen Monat im Bridge Studio verbracht. Er ist ein New Yorker Künstler, der schon eine tiefe Beziehung zum Bridge Studio hat. Dieses Mal war sein Projekt die  Umgestaltung des Arztzimmers im Erdgeschoß des Hauses. Ich weiss nicht, ob es reicht, ihn Multitalent zu nennen, er nennt sich Interdisciplinary Maker. Neben seiner Kunst restauriert und verkauft er auch Vintage-Möbel. Egal was man ihm in die Hand gibt, er kann es reparieren und etwas neues daraus schaffen, dass Schönheit und Wert hat.

UND er hat ein unbestechliches Auge für unerkannte Schätze. Meine Ausflüge zu Antikmärkten mit ihm waren unglaublich. Ich schaue inzwischen anderes auf Dinge, die sich dort finden lassen.

Ich habe miterlebt, wie er seine Arbeit konzipiert, dokumentiert und in Kontext setzt und denke, dass ich von seiner Herangehensweise sehr viel lernen konnte für meine eigenen Prozesse. Ausserdem ist er der freundlichste und beste Partner um einen Monat in einem kalten Haus zu verbringen. Ich hoffe, wir begegnen uns wieder, es gibt noch so viel zu tun und zu erleben, dann aber gerne in einer wärmeren Jahreszeit.

Beute vom Heian Antik-Markt. Auf Instagram heisst August @itsthemorning
Vershneiter Hofgarten, Bridge Studio, Jodoji, Kyoto
Gebäude Bridge Studio, Jodoji, Kyoto
Sento Schild, Jodoji, Kyoto

Bridge studio Kyoto

 

Kontakt

69 Jodoji Higashidacho, Sakyo Ward, Kyoto, 606-8411, Japan

〒606-8411 京都市左京区浄土寺東田町69

https://www.brdg.to/

instagram: @bridgestudio_kyoto

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